350 Helfer kämpften gegen brennendes Paraffin an - Vier Verletzte und fünf Millionen Euro Schaden
Inferno am Kieler Binnenhafen: Großfeuer zerstört Chemiebetrieb
Kiel – Die Landeshauptstadt hat einen der größten Feuerwehreinsätze seit fast 40 Jahren erlebt. Vier Verletzte und ein Schaden, der sich auf mehr als fünf Millionen Euro summiert – das ist die Bilanz des Feuers bei einem Betrieb zur Paraffin-Verarbeitung auf der Wiker Kaianlage am Nord-Ostsee-Kanal.
„Wir haben noch einmal Glück gehabt. Das hätte auch ganz böse enden können“, sagt Ralf Kirchhoff. Als es hell wird, blickt der Amtsleiter der Feuerwehr auf die beiden großen Tanks am Wiker Fähranleger. 8000 Kubikmeter Gasöl lagern darin. Um sie herum loderten in der Nacht meterhohe Flammen. Das zum Kanal fließende Paraffin hatte sich wie glühende Lava seinen Weg über die Kaianlage zu den Tanks gebahnt, die von der Feuerwehr gekühlt werden mussten.
Ausgebrochen war das Feuer kurz vor Mitternacht. „Wir wurden alarmiert, weil angeblich eine Papiertonne brannte“, sagt Feuerwehrsprecher Michael Krohn. Deshalb wurde zunächst nur ein Löschfahrzeug auf den Weg geschickt. Doch Minuten später überschlugen sich die Ereignisse auf dem Gelände der Schweizer Firma Tantal Chemicals, die die Fläche von der Schiffsbunkerfirma Bominflot gepachtet hat. Dort wird seit Jahren Paraffin und Wachs verarbeitet.
Das brennende Paraffin entzündete Kunststofffender an der Pier, Schaltkästen, sogar Bäume und Container. Zwischendurch gab es immer wieder schwere Explosionen und Stichflammen. Das wegen der großen Hitze verflüssigte Paraffin bahnte sich so schnell den Weg, dass die Feuerwehrleute sich im Laufschritt in Sicherheit bringen mussten. Der zunächst als Wasserentnahmestelle genutzte Fähranleger wurde deshalb geräumt. Es blieb nicht einmal Zeit, die dort postierten Pumpen der Feuerwehren Russee und Suchsdorf abzutransportieren; sie mussten aufgegeben werden und wurden ein Raub der Flammen.
Alle zehn Kieler freiwilligen Wehren waren ausgerückt. Zu ihrer Unterstützung wurden auch die Feuerwehren Rendsburg und Achterwehr sowie die Flughafenwehr der Marine aus Holtenau mit schwerem Flugfeldlöschfahrzeugen angefordert. „Den Durchbruch brachte der Einsatz des Löschschiffs ‚Kiel' und der ‚Laboe' von der DGzRS“, sagt Kirchhoff. Dass die „Kiel“ erst nach zweieinhalb Stunden vor Ort eintraf, lag an den langen Vorlaufzeiten, da es aus Kostengründen inzwischen nachts an Bord keine Besatzung mehr in Bereitschaft gibt. „Wenn die ‚Kiel' nicht gekommen wäre, hätte das ganz anders ausgehen können“, sagt auch Hans-Heinrich Koch vom Wasser- und Schifffahrtsamt Kiel-Holtenau.
Besonders das Auslaufen des Gasöls aus den Tanks in den Kanal hätte katastrophale Folgen für die Schleuse und die Uferbereiche gehabt. Ganz unbekannt war die Paraffin-Adresse am Binnenhafen bei der Feuerwehr nicht. Bereits am 25. April hatte es dort einen Einsatz gegeben. Seinerzeit hatte die Feuerwehr mehr Glück und konnte das Feuer an einem Ofen schnell löschen.
Die Ermittlungen der Polizei gestalten sich schwierig. Die Firmenanlage ist nur noch ein Knäuel aus verglühten Stahlträgern, Containern und Tanks. Der Brandort wurde beschlagnahmt. Bei den Verletzten handelt es sich laut Feuerwehr um eine Frau und einen Mann aus dem Anwohnerbereich sowie um einen Feuerwehrmann aus Russee – sie trugen Rauchvergiftungen davon. Ein THW-Helfer stürzte unglücklich.
Für Rolf und Tamara Hans war der Schlaf kurz nach 2 Uhr vorbei. Die Polizei klingelte sie aus dem Bett. „Die Beamten sagten, dass wir uns schnell entfernen sollten“, sagt Rolf Hans vom Auberg. „Meine Tochter Jana hat den Feuerschein gesehen und hat es mit der Angst bekommen. Sie wollte ganz schnell weg“, berichtet Britta Wulf vom Timmerberg. Sie gehörten zu den 500 Bewohnern, die auf beiden Seiten des Kanals ihre Wohnungen räumen müssten. Um sie kümmerten sich ehrenamtliche Helfer. Die KVG stellte Busse bereit. „Wir sind zu meinem Bruder, der wohnt auch in der Wik“, sagt Rolf Hans. Kurz nach 5 Uhr durften alle Anwohner wieder zurück in ihre Wohnungen. Die Feuerwehr hatte dafür gesorgt, dass das Feuer keines der Wohngebäude erreichte.
Auch der Schiffsverkehr auf dem Kanal ruhte von Mitternacht bis etwa 6 Uhr. Einige Schiffe mussten sogar fast zwölf Stunden im Kanal warten. Der Kreuzfahrer „Regatta“ drehte sogar ab und nahm den Weg um Skagen. Lange warten mussten Fahrgäste der Kanalfähre „Adler 1“. Der neue Wiker Anleger wurde durch das brennende Paraffin so schwer beschädigt, dass er über Monate nicht angelaufen werden kann. „Wir prüfen, ob wir als Ersatzlösung den provisorischen Anleger nahe der Schleuse wieder aufbauen“, sagte Hans-Heinrich Koch vom Wasser- und Schifffahrtsamt.
Bis dahin gibt es einen Busersatzverkehr. Wenn der Anleger erneuert werden muss, kann das bis Anfang nächsten Jahres dauern. Ein Opfer der Flammen wurde auch der Schleusentor-Tunnel, der neben dem Paraffin-Lager seinen Platz hatte. Die Höhe der Schäden ist nur ansatzweise zu beziffern – „da müssen erstmal Gutachter ran“, sagte Koch.
Von mehreren Millionen Euro Schaden an der Anlage, dem Kai sowie an umliegenden Grundstücken müsse aber ausgegangen werden. Die Aufräumarbeiten gehen am Montag weiter, wenn weiteres Paraffin aus dem Kanal geborgen wird.
Von KN-Redakteur Frank Behling
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